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NS-Gräberfeld in Hall: 46 Südtiroler unter den Bestatteten
Heute (24. Juni) hat die Historikerkommission, die seit 2011 die Geschichte des NS-Gräberfeldes in Hall erforscht, ihren Abschlussbericht vorgelegt. "Unter den 228 Bestatteten befinden sich 46 Südtiroler Umsiedler. Deren Schicksal und jenes von Hunderten weiteren umgesiedelten Kranken und Behinderten ist jedoch noch weitgehend unerforscht", so das Südtiroler Kommissionsmitglied, Christine Roilo.
Anfang 2011 ist auf dem Gelände des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall ein aufgelassener Anstaltsfriedhof freigelegt worden, auf dem zwischen November 1942 und April 1945 228 Menschen bestattet worden waren. Eine neunköpfige Expertenkommission, darunter auch Südtirols Landesarchivarin Roilo, hat vom Bundesland Tirol den Auftrag bekommen, die Geschichte des Gräberfeldes lückenlos aufzuklären, weil der Verdacht im Raum stand, dass die Toten des Friedhofs möglicherweise Opfer systematischer Tötungen in der Anstalt Hall selbst waren. Dass Patienten mit Südtiroler Wurzeln und Tiroler Opfer des Euthanasie-Programms waren, steht schon seit längerer Zeit fest: 360 Patienten aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Hall wurden schon in der ersten Kriegshälfte in der Euthanasie-Tötungsanstalt Schloss Hartheim in Oberösterreich und in der Anstalt Niedernhart in Linz ermordet.
Die Historikerkommission erforschte in den vergangenen Jahren die Herkunft der Toten und ging dann der Frage nach, ob Hall in die zweite Phase der NS-Euthanasie, die als "dezentrale Euthanasie" bezeichnet wird, verstrickt war. „In den Jahren 1940 bis 1945 bestand ein nicht unbeträchtlicher Teil der Patienten der Heilanstalt Hall aus Südtirolern. Zumeist betrug ihr Anteil um die 15 Prozent. Nachdem vermutet werden konnte, dass auch Südtiroler unter den Leichen sind, hatte die Landesregierung großes Interesse daran, die Geschichte des Gräberfeldes lückenlos aufzuarbeiten und entsandte Landesarchivarin Roilo in die unabhängige Expertenkommission. Uns ist es wichtig, dass Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte gebracht wird“, erklärt Landesrat Florian Mussner, in dessen Zuständigkeitsbereich das Landesarchiv und damit die historische Grundlagenforschung fällt.
„Zwischen 1940 und 1945 wurden in Hall insgesamt 648 Südtiroler aufgenommen, 329 Männer und 319 Frauen. Davon wurden, ebenfalls zwischen 1940 und 1945, 219 wieder entlassen, 239 verlegt oder an andere Einrichtungen überstellt, insgesamt 85 verstarben. Von diesen wiederum wurden 46 im Haller Anstaltsfriedhof begraben, die anderen wurden zumeist auf dem städtischen Friedhof beerdigt. Ob die Bestatteten durch die so genannte dezentrale Euthanasie ihr Leben verloren haben, konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Gesichert ist, dass die damalige Versorgung – etwa mit Lebensmitteln und Medikamenten – sehr schlecht war“, fasst Roilo die bisherigen Erkenntnisse zusammen.
Dem heute vorgelegten ersten Kommissionsbericht wird noch eine Reihe weiterer Publikationen zur Geschichte der Anstalt und des Friedhofs folgen. Das Südtiroler Landesarchiv plant außerdem eine Veröffentlichung, in der die Umsiedlung von psychisch kranken und pflegebedürftigen Südtirolern in psychiatrische Krankenhäuser und Altersheime im Zuge der Option behandelt wird. „Die Umsiedlung von Südtirolern nach Hall ist bislang unerforscht und führt uns wieder einmal vor Augen, dass die Vorgänge rund um die Option auch 75 Jahre danach noch lange nicht umfassend aufgeklärt sind. Ich bin froh, dass mit diesem Bericht bald ein weiterer wichtiger Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung vorliegen wird“, so Landesrat Mussner.
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